Videostudium, Training und ein wenig Freizeit: Der zusätzliche Ruhetag vor dem wegweisenden EM-Gruppenduell mit Nordmazedonien kam den deutschen Handballern um Rückraum-Ass Julian Köster sehr gelegen.
«Ganz herunterfahren kann man zwar nicht. Aber etwas mehr Regenerationszeit tut uns gut», sagte der 23-Jährige und fügte voller Vorfreude auf die Partie an diesem Sonntag (20.30 Uhr/ZDF und Dyn) in Berlin hinzu: «Wir sind eine ziemlich coole Truppe, die extrem Bock hat auf dieses Heim-Turnier. Wir werden emotional da sein.»
Einzug in die zweite Turnierphase winkt
Nach dem furiosen 27:14 im Auftaktspiel gegen die Schweiz vor der Weltrekordkulisse von 53.586 Fans hat selbst Bundeskanzler Olaf Scholz die Handball-Begeisterung gepackt. Der SPD-Politiker sei ein «Fan der Mannschaft», berichtete die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Scholz werde dem Team von Bundestrainer Alfred Gislason, der sich eine mediale Auszeit gönnte, im zweiten Gruppenspiel auf der Tribüne der Mercedes-Benz-Arena die Daumen drücken.
Mit einem weiteren Sieg kann die DHB-Auswahl bereits das Ticket für die Hauptrunde lösen und vorzeitig das erste EM-Etappenziel erreichen. «Die Bilder im Kopf werden ein Leben lang bleiben. Aber wir müssen den Fokus jetzt auf Nordmazedonien legen. Wir wollen das Turnier weiter erfolgreich bestreiten. Dementsprechend nehmen wir das als Push und möchten einen Flow aufbauen», gab Rechtsaußen Timo Kastening die Marschroute vor.
Beim Kartenspielen, Tischfußball, an der Darts-Scheibe oder bei einer Tasse Kaffee stimmten sich die deutschen Spieler auf die Partie ein. Mit einem ähnlich mitreißenden Auftritt wie in Düsseldorf soll die Handball-Begeisterung in Deutschland weiter gesteigert werden. «Wir freuen uns auf einen Hexenkessel in Berlin, der hoffentlich zum Brennen kommt. Es liegt an uns, das Spiel erfolgreich zu bestreiten», sagte Kastening.
Der EM-Traumstart habe die Mannschaft beflügelt und gezeigt, «wie groß die Euphorie werden kann», sagte Kapitän Johannes Golla im ZDF-Morgenmagazin. Zugleich mahnte der 26-Jährige, nicht die Bodenhaftung zu verlieren.
«Das ist wieder wie ein Endspiel. Wir stehen vor einer fast unveränderten Situation. Wenn wir uns gegen Nordmazedonien nicht gut präsentieren, hat uns das fulminante Auftaktspiel nichts gebracht. Daher sind die Sinne wieder geschärft», sagte der Kreisläufer vom Bundesligisten SG Flensburg-Handewitt.
Defensive als Trumpf
Viel wird wieder auf den Innenblock mit Golla und Köster ankommen, denen Bundestrainer Alfred Gislason gegen die Schweiz eine «phänomenale Leistung» attestiert hatte. Das Duo räumt in der Abwehr kompromisslos auf und ist auf dem besten Weg, in die großen Fußstapfen von Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek zu treten. Die beiden Kieler, die mittlerweile aus der Nationalmannschaft zurückgetreten sind, galten über viele Jahre als bester Innenblock der Welt.
«Wir treffen vorher immer Absprachen. Wenn es dann auf dem Parkett klappt wie gegen die Schweiz, ist es natürlich gut», sagte Köster über die defensive Zusammenarbeit mit Golla.
Für Gislason gehört Köster trotz seiner erst 23 Jahre schon jetzt «zu den besten Abwehrspielern in der Welt». In der öffentlichen Wahrnehmung fliegt der Zwei-Meter-Schlacks zwar immer noch ein wenig unter dem Radar. Intern zählt Köster neben Torwart Andreas Wolff, Regisseur Juri Knorr und Golla aber längst zu den unverzichtbaren Säulen im DHB-Team.
Mitspieler adeln Köster
Daher genießt er eine hohe Wertschätzung bei seinen Mitspielern. «Ich weiß nicht, ob es einen anderen Spieler gibt, der bei seiner Größe solche Fähigkeiten hat. Er ist unglaublich beweglich, schnell und super beim Eins gegen Eins. Er kann Sprungwürfe, Schlagwürfe und in der Abwehr auch noch alles verteidigen. Julian ist ein Wahnsinnsspieler», adelte Knorr den Kapitän des Bundesligisten VfL Gummersbach.
Für Kastening ist Köster «einer der wenigen deutschen Spieler, die unfassbar komplett sind. Egal, ob er im Innenblock deckt oder im Angriff Entscheidungen trifft, es gibt eigentlich nichts, woran er noch unheimlich arbeiten müsste», lobte Kastening und fügte hinzu: «Er ist ein Supertyp, für sein Alter unglaublich weit und dazu noch klar in der Rübe. Wir sind froh, dass wir ihn im Team haben.»
Köster, der einst in die gleiche Schule wie Fußball-Nationalspieler Florian Wirtz ging und von dessen Mutter Karin beim TuS SW Brauweiler trainiert wurde, debütierte im November 2021 als damaliger Zweitligaspieler in der DHB-Auswahl. Bei der EM 2022 bestritt er alle sieben Turnierspiele und war mit 18 Treffern zweitbester deutscher Torschütze.
Zu einer Top-Torquote wird es bei der Heim-EM sicher nicht reichen, da Köster im Angriff meistens für die harte Abwehrarbeit geschont wird. Darauf baut auch der gegen die Schweiz überragende Torwart Andreas Wolff. «Wenn die Jungs gegen Nordmazedonien mit der gleichen Courage verteidigen, können wir bestimmt wieder ein sehr gutes Defensivpaket schnüren», prophezeite der 32-Jährige.