Vor dem Duell mit den übermächtigen Dänen baten Deutschlands Handballer um göttlichen Beistand. «Vielleicht gibt es ja jemanden da oben, der am Freitag ganz besonders auf uns aufpasst», sagte Linksaußen Rune Dahmke und blickte flehend an die Betondecke der Kölner Arena-Katakomben. Als der Nationalspieler nach seinem kurzen Abstecher in eine andere Sphäre wieder bei sich war, ergänzte er hoffnungsvoll: «Wenn du irgendwo eine Chance auf ein Wunder hast, dann in Köln».
Die Rollen vor dem deutschen EM-Halbfinale gegen das skandinavische Top-Team an diesem Freitag (20.30 Uhr/ZDF und Dyn) sind klar verteilt. Dänemark ist Olympia-Zweiter, Weltmeister, EM-Dritter und absoluter Top-Favorit auf den Titel. Die deutsche Mannschaft, die sich gerade erst auf den Weg zurück in die Weltspitze macht, wirkt dagegen vergleichsweise unerfahren und weist vor allem in der Breite weniger individuelle Qualität auf.
Deutschland mit perfekter Ausgangslage
Und doch: Die deutschen Spieler glauben an sich und ihre Chance. «Es ist das Geilste auf der Welt, ein Halbfinale vor unseren Fans spielen zu dürfen», sagte Spielmacher Juri Knorr und forderte maximalen Einsatz: «Wir brauchen einen besonderen Tag, viele handballerische Zutaten sowie Mut und Mentalität. Wir dürfen nicht mit Angst auftreten.»
Ähnlich bewertete Dahmke die Ausgangslage. «Du hast ein Halbfinale zu Hause vor ausverkauftem Haus. Und trotzdem hast du nicht den Druck auf deiner Seite. Das ist etwas Besonderes. Dass wir gegen die beste Mannschaft der Welt sagen können «Wir werfen alles rein und gucken mal, was dabei herauskommt», ist eine unvergleichliche Situation», befand der Routinier.
Die deutsche Mannschaft ist heiß. Jungspund und U21-Weltmeister Justus Fischer forderte von all seinen Teamkollegen die gewisse «Geilheit auf das Spiel». Kapitän Johannes Golla versprach ein anderes Gesicht als beim ernüchternden 24:30 im abschließenden Hauptrundenspiel gegen Kroatien. Worin sich die gesamte DHB-Auswahl sicher ist: Das Handball-Wunder kann nur mit der Magie der Zuschauer gelingen.
DHB-Team setzt auf die Fans
Knorr startete daher einen flehenden Appell an die rund 20.000 Zuschauer, die die ausverkaufte Arena in einen Hexenkessel verwandeln sollen. «Die Fans sind ein riesiger Faktor. Es war bisher gigantisch, aber wir brauchen noch mehr. Wir brauchen das Doppelte» forderte Deutschlands Spielmacher und schob hinterher: «Jeder muss für uns brüllen. Jeder Einzelne muss für uns schreien und uns nach vorn peitschen.» So wie vor 17 Jahren, als die Fans das DHB-Team in Köln zum WM-Titel trugen.
Auf Bundestrainer Alfred Gislason wartet vor dem Anpfiff eine Mammutaufgabe. Wie bereitet man seine Spieler auf eine Mannschaft vor, die eigentlich keine Schwächen hat? «Ich wünschte, sie hätten Schwächen. Ich bin froh, dass ich nicht Trainer bin und die Jungs auf die Dänen einstellen muss», sagte Torhüter Andreas Wolff und rüttelte seine Teamkollegen wach: «Jeder muss über sich hinauswachsen. Die Dänen sind das Non-Plus-Ultra im internationalen Handball.»
Lichtlein: Eins aus zehn Spielen gewinnen wir
Der Respekt vor dieser Über-Mannschaft aus dem Norden ist riesig. Angst macht sich in den deutschen Reihen aber nicht breit. «Es ist kein Geheimnis, dass die Dänen den schönsten, besten und effektivsten Handball spielen. Aber es wird eine geile Herausforderung sein. Die sollen erstmal zeigen, wie gut sie sind», sagte Rückraumspieler Philipp Weber angriffslustig.
Die bedeutungslose Klatsche gegen Kroatien hindert die deutschen Handballer nicht daran, vom EM-Coup gegen das skandinavische Top-Team zu träumen. «Eins aus zehn Spielen gewinnen wir. Wann dieses eine Spiel ist, weiß keiner», sagte Jungstar Nils Lichtlein. Gislason ist sich sicher: «Wir brauchen die beste Leistung der letzten Jahrzehnte, um eine Chance gegen Dänemark zu haben. Wir hoffen auf einen Sahne-Tag.»
DHB-Profis müssen «mit Auge werfen»
Um einen magischen Tag erleben zu können, muss sich vor allem im Angriffsspiel einiges tun. Die Chancenverwertung ist bei dieser Heim-EM das große Manko im deutschen Spiel. Und eines ist klar: Eine Mannschaft wie Dänemark verzeiht keine Fehlwürfe. «Wir müssen im Angriff einfach konsequenter unsere Abschlüsse finden und dann auch mit Auge werfen und nicht einfach blind draufballern», forderte Kreisläufer Fischer. Weber bemängelte fehlende Kaltschnäuzigkeit, «um das Ding am Torhüter vorbeizulegen».
Egal, ob im Tor, in der Abwehr oder im Angriff – das DHB-Team braucht auf allen Positionen die Maximalleistung. «Wer jetzt nicht bereit ist, der ist hier falsch», sagte Golla, der auch auf den Input der EM-Sieger von 2016 hofft. Wolff, Dahmke, Jannik Kohlbacher und Kai Häfner waren schon beim Gold-Rausch in Polen dabei. «Wenn du ins Halbfinale gehst, ist das Turnier nicht abgeschlossen», sagte Golla. «Wir wollen diesen Traum hier vergolden.»