Deutschlands Lukas Zerbe feiert ein Tor gegen Polen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marijan Murat/dpa)

Im Anschluss an ihren kleinen EM-Coup hüpften die schwer coronageplagten deutschen Handballer Arm in Arm über das Spielfeld in Bratislava. Selbst der meist ernste Bundestrainer Alfred Gislason lächelte an der Seite seines glücklichen Rumpfkaders so breit wie nie bei dieser EM.

«Die Mannschaft hat überragenden Charakter gezeigt», schwärmte der Isländer nach dem überraschenden 30:23 (15:12) im Vorrundenfinale gegen Polen. «Dass sie unter diesen Bedingungen und diesem Druck eine solche Leistung bringen können, ist großartig.»

Auf neun positiv getestete Akteure hatte der 62-Jährige verzichten müssen, gerade mal 14 Spieler standen ihm zur Verfügung, darunter als einziger Torwart lediglich der kurzfristig nachnominierte Johannes Bitter – trotzdem lieferte die DHB-Auswahl gegen die zuvor ebenfalls ungeschlagenen Polen einen sensationellen Auftritt ab. «Was die Mannschaft in den 60 Minuten abgerissen hat, war einer der schönsten und tollsten Momente, die wir bisher erlebt haben», sagte Spielmacher Philipp Weber. «Dass wir so eine Performance abgeliefert haben, macht uns extrem stolz.»

Stark durch Corona dezimierte DHB-Auswahl

Qualifiziert war die arg dezimierte DHB-Auswahl für die nächste Turnierphase zwar schon vorher, nun nimmt sie aber auch noch die ideale Punkteausbeute mit. Erster Gegner dort ist am Donnerstag Titelverteidiger Spanien. Mit einer ähnlich leidenschaftlichen Leistung wie gegen die Polen scheint derzeit trotz des Corona-Ausbruchs überhaupt nichts mehr ausgeschlossen. Bester Werfer vor 1076 Zuschauern in Bratislava war EM-Neuling Christoph Steinert der mit neun Treffern seinen Geburtstag verschönerte. Überhaupt die Neulinge. Auch was der 21 Jahre alte Zweitliga-Profi Julian Köster in Bratislava zeigte, war ebenso überragend wie überraschend.

Nur den Bundestrainer wunderte es nicht. «Die individuelle Klasse kenne ich sehr gut», sagte Gislason. «Riesiges Kompliment, was sie gezeigt haben. Überragende Abwehr, überragender Angriff – von der ersten Minute an voll da.» Mit Blick auf das nächste Spiel gegen die extrem erfahrenen Spanier sagte Kapitän Johannes Golla: «Es wird nicht leichter. Wir wussten, dass das Spiel gegen Polen extrem wichtig ist.»

Was sich in Bratislava abspielte, wird unabhängig vom Ergebnis wohl einmalig in der Geschichte des deutschen Handballs bleiben: Nach fünf weiteren positiven Corona-Tests hatte Bundestrainer Gislason erst am Vorabend fünf Spieler kurzfristig nachnominiert. Der 62-Jährige hatte sogar noch Glück, dass die angereisten Bitter, Rune Dahmke, Fabian Wiede, Paul Drux sowie Sebastian Firnhaber rechtzeitig in der Slowakei eingetroffen waren und anschließend negativ auf Corona getestet wurden. Ansonsten wäre der DHB-Kader noch deutlich stärker dezimiert gewesen.

Und weil unmittelbar vor dem Anpfiff auch noch Linksaußen Marcel Schiller und Torwart Till Klimpke positiv getestet wurden, war der 39-jährige Bitter sogar der einzig verfügbare Keeper der deutschen Mannschaft. Eine lange Eingewöhnungszeit brauchte der Weltmeister von 2007 allerdings nicht. Schon im ersten Durchgang parierte der Routinier einige Wurfversuche der Polen. Und auch der Rest des Teams schien sich angesichts der erheblichen Personalprobleme zu sagen: Jetzt erst recht! EM-Neulinge Köster oder Steinert liefen phasenweise zur Höchstform auf. Es ging ja auch nicht anders. Denn sonst war ja kaum noch jemand da.

Torhüter Bitter musste durchspielen

«Gnadenlose Emotionen. Es war einfach begeisternd, was die Jungs gezeigt haben», sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer zur Halbzeit. «Wir hatten viel Energie und Spannung, um dagegenzuhalten», sagte Steinert. Neben Bitter dürften auch Drux, Wiede, Dahmke und Firnhaber in der Nacht zuvor nur wenig geschlafen haben, trotzdem wehrte sich die DHB-Auswahl mit aller Macht gegen den Corona-Ausbruch und die zuvor im Turnier so souveränen Polen. Weil neben Klimpke auch der zweite Torhüter Andreas Wolff wegen Corona ausfiel, musste Bitter durchspielen.

Und wenn seinen Vorderleuten mal die Puste ausging, war der Oldie vom HSV Hamburg da. Als der junge Köster etwa in der 39. Minute in der eigenen Hälfte leichtfertig den Ball verlor, glänzte Bitter mit einer überragenden Parade gegen den frei vor ihm auftauchenden Polen. Dabei hatte Bitter kaum Handball trainiert in den vergangenen Tagen. Die gesamte deutsche Mannschaft hatte sich ebenfalls nicht mit einem Abschlusstraining auf die Partie vorbereiten können, weil sie noch auf die Ergebnisse ihrer Corona-Tests hatte warten müssen. «So etwas gab es noch nie», sagte Gislason im ZDF.

Zwei weitere Nachnominierungen

Dass ein Bundestrainer noch nicht weiß, welcher Kader ihm in zwei Tagen im ersten Hauptrundenspiel der EM zur Verfügung steht, gab es so auch noch nie. Um wenigstens wieder 16 Spieler zu haben, nominierte der DHB noch am Dienstag Torhüter Daniel Rebmann von Frisch Auf Göppingen sowie Außen Patrick Zieker vom TVB Stuttgart nach. Beide sollen am Mittwochmorgen zum Team stoßen. Ob danach noch weitere Corona-Fälle hinzu kommen, bleibt offen. Einen sportlichen Schaden hat die DHB-Auswahl dadurch aber auch noch nicht erlitten.

Von Nils Bastek und Eric Dobias, dpa

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