Bereitet die deutsche Mannschaft auf das brisante Duell gegen Island vor: Alfred Gislason. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sören Stache/dpa)

Im frostigen Kölner Schneegestöber fiel der Empfang für Deutschlands Handballer besonders warm und herzlich aus. Als die DHB-Auswahl am Mittwochnachmittag aus dem Hauptbahnhof spazierte, stand eine Kölsche Karnevalstruppe Spalier und stimmte die Mannschaft musikalisch auf die bevorstehenden EM-Festtage ein.

Fleißig schrieben Johannes Golla und Co. Autogramme und knipsten Selfies, dann ging es in den Bus. Noch am Abend stand das erste Training in der Lanxess Arena an, wo Deutschland an diesem Donnerstag (20.30 Uhr/ZDF und Dyn) mit dem Spiel gegen Island in die Hauptrunde startet.

Die rund fünfstündige Zugfahrt von Berlin nach Köln hatte Bundestrainer Alfred Gislason mit ausgiebiger Videoanalyse verbracht. Der 64-Jährige schmunzelte beim Gedanken an das brisante Familienduell und richtete mahnende Worte an seine isländische Verwandtschaft.

«Mein Vater, meine Brüder und meine Onkel werden alle auf der Tribüne sitzen. Ich bin sehr gespannt, ob im deutschen Trikot oder im isländischen. Ich würde das diesmal sehr persönlich nehmen», sagte der Nationaltrainer der deutschen Handballer mit einem Augenzwinkern und sprach von einem ganz besonderen Aufeinandertreffen.

Im ersten Hauptrundenspiel der Europameisterschaft muss der 64-Jährige mit der DHB-Auswahl gegen sein Heimatland ran – und steht vor einer interessanten Herausforderung. «Ich werde beide Nationalhymnen singen, auch wenn das schwierig wird», kündigte Gislason vor dem Duell an.

Gislason: Ich liebe dieses Team

Nach dem 30:33 gegen Frankreich zum Abschluss der EM-Vorrunde in Berlin ließ Gislason jedoch keinen Zweifel daran, für wen sein sportliches Herz schlägt. «Ich werde alles dafür tun, dieses Spiel zu gewinnen. Ich bin zwar Isländer, aber ich arbeite mit der deutschen Mannschaft und liebe dieses Team», versicherte der Trainer und bekräftigte: «Vielleicht bin ich da egoistisch, aber auch unter Freunden oder in der Familie will ich immer gewinnen.»

Und ein Sieg ist auch Pflicht. Nicht nur gegen Island, auch Österreich, Ungarn und Kroatien müssen bezwungen werden. Andernfalls droht die Medaillen-Mission vor dem Halbfinale zu scheitern. Nur die besten zwei Teams jeder Sechser-Gruppe qualifizieren sich für die Vorschlussrunde. «Jetzt haben wir vier Endspiele», beschrieb Gislason die heikle Ausgangslage.

DHB-Sportvorstand Axel Kromer sprach von kniffligen, aber lösbaren Aufgaben. Gegen Frankreich habe die Mannschaft zwar nicht ihr Ziel erreicht, aber dennoch «genug Selbstbewusstsein» getankt.

Keine Riesenfehler, aber kleine Mängel

Die erste Turnier-Pleite im Duell mit dem Olympiasieger und Rekord-Weltmeister am Dienstagabend in Berlin dämpfte die Stimmung im Team daher nur kurz. «Die Niederlage tut weh und hinterlässt einen Kratzer», sagte Spielmacher Juri Knorr. «Aber wir sind noch nicht raus und glauben weiter an uns. Es ist noch alles drin. Wir werden uns reinhauen und wollen das Turnier bis zum Schluss genießen.»

Der aufopferungsvolle Kampf gegen den Titelkandidaten sei ein Mutmacher, bekräftigten alle Spieler gebetsmühlenartig. «Wenn wir auch in den kommenden Spielen so couragiert auftreten, haben wir alle Chancen, ins Halbfinale einzuziehen», erklärte Torhüter Andreas Wolff.

Die DHB-Auswahl war daher am Mittwochmorgen mit einem guten Gefühl in den Zug gestiegen. Die Kraftprobe gegen das Star-Ensemble aus Frankreich verdeutlichte aber auch, was Deutschland noch von einem Top-Team unterscheidet.

«In der Crunch Time müssen wir im Angriff ein bisschen flüssiger spielen», forderte Rechtsaußen Timo Kastening. Kapitän Golla erkannte im deutschen Spiel zwar «keine Riesenfehler», aber spielentscheidende «Timing-Geschichten und leichte technische Unfeinheiten».

Islands Rückraumreihe «absolute Weltklasse»

Vor allem in der Schlussphase wirkte der deutsche Kader müde. Und die Belastung nimmt zu, denn in Köln geht es im Zwei-Tage-Rhythmus weiter. Schon der Auftakt gegen die Nordmänner verspricht prickelnde Handball-Atmosphäre.

«Wir können davon ausgehen, dass es ein paar Tausend Isländer sind. Das wird ein super intensives Spiel. Die sind alle Champions-League-erfahren», sagte Kastening über den mit aktuellen und ehemaligen Bundesliga-Profis gespickten Kader.

Knorr attestierte Islands Rückraumreihe sogar «absolute Weltklasse». Von den zwei Duellen im Vorjahr konnte das DHB-Team eines gewinnen, einmal triumphierten die Isländer.

Endspiele im «Mekka des Handballs»

Nach dem Hauptrunden-Auftakt gegen Island warten mit Österreich und Ungarn vermeintlich lösbare Aufgaben. Das entscheidende Duell um das Halbfinal-Ticket könnte das Spiel am kommenden Mittwoch gegen Kroatien werden. «Das wird ein Endspiel werden, wenn wir unsere Aufgaben bis dahin gut machen. Und dann werden natürlich alle Emotionen, die noch irgendwie da sind, aufs Parkett gepackt», kündigte Linksaußen Rune Dahmke an.

Alle vier Hauptrundenpartien starten um 20.30 Uhr und sind in der ARD oder im ZDF zu sehen. Gegen Frankreich zog die DHB-Auswahl im Schnitt 7,968 Millionen Menschen vor den Bildschirm. In der Kölner Lanxess Arena, dem «Mekka des Handballs», wie es Kastening formulierte, wollen bis zu 20.000 Fans einen deutschen Hexenkessel zum Überkochen bringen.

Die Vorfreude im deutschen Team ist riesig, die Hoffnung auf eine Medaille trotz des kleinen Rückschlags immer noch groß – und Kastenings Appell an seine Teamkollegen deutlich: «Ab nach Köln und gewinnen».

Von Jordan Raza und Eric Dobias, dpa

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